Einmal in der Woche heißt es auf der Station 2C der Marler Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) „Auf in den Wald!“. Dann startet Janik Hentschel mit drei oder vier oder mehr Patient:innen im Alter von 13 bis 18 Jahren auf eine Tour in die Natur. Gemeinsam erlebt das Team kleine Abenteuer, sucht Wildschweinspuren, geht Angeln, beobachtet Frösche, Fische oder Waldtiere und baut Möbel aus Ästen, Moos und anderen Naturmaterialien. Ein Waldsofa und eine Waldhütte sind so schon entstanden.

„Der Wald bietet uns viele Möglichkeiten in Beziehung zu kommen“, weiß der Erzieher aus Erfahrung, „Ich erlebe die Patient:innen hier oft ganz anders als auf der Station“, so der 25-Jährige, „Hier gelingen auch schwierige Gespräche, denn die Natur und die Weite sorgen bei den meisten Teilnehmenden für eine willkommene Entspannung und eine Auszeit vom manchmal anstrengenden (Therapie-)Alltag.“

Vor dem Ausflug in den Wald heißt es für ihn allerdings erst einmal, Motivationsarbeit zu leisten. „Ich hasse Spaziergänge!“, „Das ist gefährlich. Da gibt es bestimmt Wölfe!“ und einfach nur „Nee, kein Bock!“, so lauten einige der Einwände der Kinder und Jugendlichen. „Ich schlage ihnen dann vor, es einmal auszuprobieren und falls es ihnen nicht gefällt, können die Jungs und Mädchen beim nächsten Mal auch auf der Station bleiben“, erklärt der ausgebildete Waldpädagoge seine Strategie.

Welches Ziel sich die Gruppe für eine Waldeinheit steckt, wird jeweils zu Beginn des Ausflugs entschieden. Manchmal ist auch der Weg das Ziel. Zum Beispiel, wenn Jungs, die wegen fremd- bzw. eigengefährdeten Verhaltens, Suizidabsichten oder einem ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom) in der Marler Fachklinik sind, sich einfach nur darauf konzentrieren, einem Teammitglied mit einem gebrochenen Arm gemeinsam über ein großes Hindernis zu helfen.

„Dann werden das Gemeinschaftsgefühl, die Fähigkeit, sich zu konzentrieren und die Förderung der Selbstwirksamkeit zur Hauptsache“, so Hentschel. Das passiere auch, wenn beim Angeln der Anblick von Fischen, die nahe an der Oberfläche schwimmen, Anlass genug ist, um über den Sauerstoffgehalt eines Sees, das Wetter und zum Schluss auch über Nachhaltigkeit und den Klimawandel zu diskutieren. Das könne schon mal dazu führen, dass die Gruppe mit Beuteln voller Müll aus der Natur zur Klinik zurückkommt.

Dass jemand nach der Tour durch den Wald nicht noch einmal mitkommen will, sei noch nie vorgekommen, so Janik Hentschel: „Selbst, wenn beim Angeln wieder einmal kein Fisch angebissen hat, haben wir im Team eine gute Zeit verbracht, unser vorher gemeinsam gebackenes Brot oder die Waffeln gegessen und eine Menge erzählt oder einfach nur gechillt.“ Und auch darum geht es bei diesen Ausflügen: zur Ruhe zu kommen und den neuen Patient:innen das Ankommen zu erleichtern.

Hintergrund

Seit 2015 bietet die LWL-Klinik Marl-Sinsen in Zusammenarbeit mit der Natur- und Umweltschutzakademie NRW eine Fortbildung zum Thema Waldpädagogik an. Neben eigenen Mitarbeiter:innen werden hier auch externe Interessent:innen ausgebildet.

Die Station 2C bietet therapeutische Hilfe für psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren. Sie ist eine geschützte Station. Das bedeutet, die jungen Patient:innen können die Station nur nach Absprache verlassen. Aufnahmgegründe sind zum Beispiel eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung wie eine suizidale Krise oder die Diagnostik psychiatrischer Erkrankungen.

Textquelle: LWL
Fotoquelle: LWL / Ein Waldsofa entsteht.

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Cookie Consent mit Real Cookie Banner