Ja, ich weiß, die Überschrift ist sicherlich nicht die einladenste, aber das ist nunmal die Realität, die mir auch später andere Bergsteiger bestätigen werden. Aber von vorne: Die Nacht im Camp Shikva wird bei Ashley und mir sicherlich für immer im Gedächtnis haften bleiben.
Es fängt damit an, dass wir beide, wie schon geschrieben, keinen Hunger hatten und schnell einschliefen. Der Schlaf hält bei mir aber nur wenige Minuten an, dann bin ich wieder wach, und Bauchschmerzen quälen mich. Meine Sauerstoffwerte wurden durch Sanga kurz vorher noch gemessen, sie lagen bei 91 und damit immer noch für die Höhe im grünen Bereich.
Allerdings kommen zu den Bauch- auch noch Kopfschmerzen. Ich versuche mich zu entspannen und hoffe, dass es morgen besser wird. An Schlaf ist jedoch gar nicht zu denken. Ich scheine für wenige Sekunden einzunicken, nur um dann völlig orientierungslos aufzuwachen. Zeitweise glaube ich meine Frau im Zelt zu sehen, die allerdings zur Zeit mit unserer Kleinen gemeinsam bei ihren Eltern in Südafrika weilt. Die Routine in den kommenden Stunden besteht darin: Kurzes Einnicken, dann schweißgebadet aufwachen. Draußen heult der Wind und ich spüre, wie die Kälte durch die Ritzen zieht. Mitten in der Nacht muss ich mich übergeben. Ich bin zu schwach, um aufzustehen und rolle mich nur aus dem Zelt. Dadurch wird auch Ashley wach und fragt mich ganz entsetzt, wie es mir gehe.
Mit halbgeschlossenen Augen bemerke ich, dass sich auf dem Camp eine Schneedecke ausgebreitet hat. Eigenartigerweise ist mir aber nicht kalt. Ich rolle mich zurück auf die mittlerweile ungeliebte Isomatte und fiebere im wahrsten Wortsinn dem Morgen entgegen.
Um acht Uhr und gefühlten zehn Minuten Schlaf rufe ich nach Sanga, der sein Zelt neben unserem hat. Er kommt bei uns hinein und ich schildere ihm die Nacht. Eigentlich hatte ich auf Entsetzen oder Erstaunen gehofft aber nichts davon. „Das ist normal“, versucht er mich zu beruhigen. Der Körper versuche sich jetzt an die Höhe zu akklimatisieren und das gehe eben mit diesen Symptomen einher. So fühlt sich also Höhenkrankheit an. Dass sich der Körper so anstellt, hat mir keiner der zahlreichen Mediziner erklärt, die ich im vorhinein konsultiert habe.
Sanga erklärt mir, ich solle mich ein wenig ausruhen, und nachher würden wir uns aufmachen. Ich weiß im Augenblick gar nicht, wie das überhaupt gehen soll. Ein Seitenblick zu Ashley verrät mir, dass auch sie am Ende ihrer Kräfte ist. Ich versuche, frische Luft zu schnappen und setze mich in den Schnee an einen Stein. Unvermittelt rollen bei mir hemmungslos die Tränen. Sanga kommt zu mir und setzt sich neben mich. „Hakuna matata“ sagt er mir, was übersetzt so viel heißt wie: „Mach Dir keine Sorgen.“ Er misst meinen Sauerstoffgehalt: noch immer über 90.
Ich rappel mich langsam auf und erkläre ihm, dass wir uns fertigmachen werden, um weiterzugehen. Während in der Nacht zuvor das Zusammenräumen unserer Rucksäcke fünf Minuten dauerte, brauche ich heute morgen so lange, um überhaupt meinen Schlafsack aufzurollen, weder Ashley noch ich haben ein Funken Energie. An Essen ist bei uns beiden überhaupt nicht zu denken. Wenn ich nur daran denke, steigt bei mir gleich wieder der Würgereiz hoch.
Isaak nimmt Ashleys Rucksack, ich möchte meinen tragen und gemeinsam mit Sanga geht es dann los. Schritt für Schritt schleppen wir uns den Kilimandscharo weiter hoch. Wir stoßen kleine Lavasteine vor uns her. Ich versuche damit, meine Bauchschmerzen zu ignorieren, diese lassen aber nicht nach, sondern werden immer stärker. Nur noch 1600 Meter Höhe trennen uns vom Gipfel.
Während wir monoton weiter vor uns hinlaufen, sehen wir eine Staubwolke am Horizont aufziehen. Auf einer Piste, so erklärt uns Sanga, ist ein Rettungsjeep unterwegs. Ein anderer Wanderer, seines Zeichens Triathlet, musste aufgeben, da er ähnliche Symptome zeigte wie wir. Bei Ashley fällt mir nun auf, dass sie immer kürzer atmet – kein gutes Zeichen. Das fällt auch unseren Guides auf, die uns raten, ebenfalls den Jeep zu nehmen, der über Funk mit ihnen verbunden ist und die Besteigung an dieser Stelle zu beenden.
Ashley und ich setzen uns hin und beratschlagen uns. Nach nur kurzem Austausch ist es klar. „Wenn wir jetzt aufhören, ist es kein Abbruch, sondern eine unglaubliche Bergbesteigung, die wir an dieser Stelle aus Sicherheitsgründen nicht fortsetzen sollten.“ Wir erzählen Sanga und Isaak von unserem Ergebnis und erleichtert stimmen sie uns zu. „Hättet Ihr Euch nicht so entschieden, hätten wir Euch runterschicken müssen“, sagen sie. Vor allem Ashleys Kurzatmigkeit, verursacht durch die Höhenluft, könne sonst Langzeitschäden hervorrufen. Die beiden nehmen Kontakt zum Fahrer auf und erklären ihm, dass auch wir den Weg nach unten antreten werden.
Ohne großes Bedauern, nehmen wir einen Seitenweg, der uns zu der Piste führt, an der der Jeep bereits auf uns wartet. Auch die Träger, die bereits vorgegangen waren, sind zurückgekommen und treten mit uns den Rückweg an. Zum Abschluss werden noch ein paar Erinnerungsfotos geschossen.
Es dauert keine zwei Minuten und Ashley ist im Jeep auf meinen Beinen eingeschlafen. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie stolz ich auf mein Mädchen bin, das diesen Trip mit mir gemeinsam gemeistert hat. Nachdem wir wieder zurück im Hotel sind, dauert es noch einen weiteren Tag, bis die Kopfschmerzen und die Übelkeit verschwinden. Sicherlich hilft es, auf einer vernünftigen Matratze zu liegen. Am Abend lassen wir unsere Bergbesteigung Revue passieren und trotz Grenzerfahrungen ist eines passiert: Ashley hat noch mehr Lust bekommen, Berge zu erklimmen. Vor einiger Zeit hatte ich ihr vom Wanderweg E5 berichtet, über den man die Alpen in sechs Tagen überqueren kann. „Lass uns das in den kommenden Sommerferien machen“, schlägt sie vor, und noch während wir uns erholen, geht es schon in die nächste Planung.
Viel Zeit zum Ausruhen haben wir aber nicht, denn nur einen Tag später geht es wieder an den Fuß des Kilimandscharos, dieses Mal zwar mit dem Auto, dafür werden wir dort dem Chagga begegnen, einem Stamm, der noch genauso wie vor hunderten Jahren im dichten Regenwald lebt. Sein Überleben sichert er sich durch das Anpflanzen und Ernten von Kaffeebohnen.
Was sie genau machen und wie nah wir wieder dem Kilimandscharo kommen, lest Ihr in der nächsten Folge.

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