Es ist ein paar Wochen her, da jährte sich der Terror-Anschlag auf die Zwillingstürme in New York zum 20. Mal. In den Medien wurde darüber berichtet. Sehr häufig fiel in dem Zusammenhang die Bemerkung, dass sich wohl jedermann daran erinnere, wo und wie er davon erfahren hat.
Das trifft auch auf mich zu. Ich war mit vier Schülern auf dem Rückweg von einem Besuch im Freilichtmuseum in Detmold. Wir hatten in der Wassermühle und in einer Windmühle das Zusammenspiel von Zahnrädern angesehen. Teile davon wollten wir im Technik-Unterricht nachbauen. Kurz vor Heidenoldendorf hörten wir die schreckliche Nachricht im Autoradio. Unser Entsetzen machte uns sprachlos und die Sprachlosigkeit reichte bis zurück nach Augustdorf.
Eine weitere eindrucksvolle Situation erlebte ich am nächsten Vormittag in meinem Büro in der Schule. Zwei Herren warteten dort auf mich. Es waren die beiden Leiter der muslimischen Gemeinde am Kirchweg, Halil Özgül und Muhuttin Uzun. Wir kannten uns schon von einem vorherigen Besuch des Lehrerkollegiums in der Moschee. Sie wirkten sehr besorgt. Es stellte sich heraus, dass sie wegen des Terror-Anschlags in New York gekommen waren. Sie gaben sich große Mühe, uns als Schule, in der sich viele ihrer Kinder wohl fühlten, zu versichern, dass sie als Muslime in unserem Dorf auf keinen Fall mit den Terroristen in einen Topf geworfen werden wollten. Immer wieder beteuerten sie, dass ihre muslimische Gemeinde keinerlei extremistische Absichten und Richtungen vertrete. Auch sie verurteilten den Anschlag auf das Schärfste. Sie legten großen Wert auf ein friedliches Miteinander in unserem Dorf. Es war so deutlich, dass sie das Verhältnis ihrer Gemeinde-Mitglieder und der Augustdorfer Bevölkerung zueinander durch den Terror von Extremisten gefährdet sahen. Sie legten großen Wert auf ein friedliches Miteinander in unserem Dorf. Eine Kollegin und ich versuchten, die beiden zu beruhigen und versicherten, dass wir uns alle Mühe geben würden, auch auf die Schüler einzuwirken. Es erfolgte eine intensive Aufarbeitung dieses Besuches durch die Lehrerinnen und Lehrer in den Klassen.
Der Eindruck von diesem Besuch ist noch sehr präsent bei mir, besonders die Sorge um eine Verschlechterung der Beziehungen der Menschen untereinander. Ich habe Herrn Özgül später noch oft getroffen. Aber nach dem „Jahrestag“ wollte ich noch einmal mit ihm über diese Zeit reden. Herr Özgül ist seit einem halben Jahr schwer an Corona erkrankt und sein Vertreter leider verstorben. Aber ich konnte mit dem jetzigen Leiter der Moschee-Gemeinde sprechen, Tuncer Sahin. Ein ehemaliger Schüler von mir. Wir kennen uns seit langem. 40 Jahre lebt er in Augustdorf. Wir versicherten uns gegenseitig, dass wir geimpft sind, und suchten uns eine Ecke, in der wir ungestört miteinander reden konnten, z.B. über das Verhältnis von Menschen untereinander, die in Augustdorf leben. Seine Töchter sind Deutsche, sie gehen wählen. Er weiß nicht, was sie wählen. Sie sind geimpft. Sie sind erwachsen, und er ist stolz auf sie, sagt er.
Auch er erinnert sich gut an den Tag des Terrors. Er war auf dem Platz vor der Moschee. Und natürlich erfuhr man bald über die Verursacher. Und er versteht sehr gut die Sorgen der damaligen Gemeindevorsteher.
Herr Sahin ist mit vielen Menschen befreundet. Mit Kollegen in der Firma, mit vielen Nachbarn. Er hat seine Kontakte ins Rathaus, natürlich zu Frau Grothe. „Ich fühle mich unendlich wohl hier in Augustdorf.“ Die Absicht von Spaltungen, die bei den Terroristen wohl bestanden hat, ist hier nicht zum Erfolg gekommen. „Augustdorf ist meine Heimat.“ Wenn er vier Tage weg war, hat er Sehnsucht nach Augustdorf. „Manchmal muss man ja den Rest der Familie in der Türkei besuchen. Und dann bin ich glücklich, wenn ich wieder zu Hause in Augustdorf bin.“ Wir reden noch eine Weile über das Leben in Augustdorf und verabschieden uns dann voneinander. Ich bin ganz stolz, dass ich das auf Türkisch kann, und er antwortet mir dann auch auf Türkisch: Güle Güle.