Da verwundert es kaum, dass es hier und da deutliche Kritik an der Corona-Politik in Deutschland gibt. Unter anderem auch von zwei Mitgliedern des mittlerweile aufgelösten Corona-Expertenrats der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Virologe Professor Hendrik Streeck und Ethik-Professorin Christiane Woopen äußerten sich in einer Ausschussanhörung des Landtags unter anderem skeptisch zum Testen, zur Impfkampagne sowie dem 2G-Modell.
Vor allem bei Letzterem ist Hendrik Streeck skeptisch. Die 2G-Regelung, die mittlerweile in acht Bundesländern gilt, ergebe aus Sicht des Virologen nicht viel Sinn. „Wir werden dann unerklärliche Ausbrüche bekommen“, sagte er. Er verwies darauf, dass die Viruslast bei infizierten Geimpften genauso hoch sei wie bei ungeimpften Menschen. Auch Christiane Woopen hielt 2G für nicht gerechtfertigt. „PCR-Getestete sind sicherer als nicht getestete Geimpfte.“
Generell sprach sich Hendrik Streeck auch dafür aus, nicht auf das Testen von geimpften Menschen zu verzichten. Er bezeichnete diesen Schritt als schwierig. Testen sei zwar enorm teuer, aber ein wichtiges Instrument. Er warb für ein stichprobenartiges Vorgehen. So würden in Großbritannien jede Woche 150 000 Menschen repräsentativ getestet. „Das gibt genaue Daten über das Infektionsgeschehen“, sagte er. Die Politik müsse, so Christiane Woopen, in Richtung Massen-PCR-Tests mit 10.000 Tests denken, wobei dann eine Probe nur einen Euro koste.
Hendrik Streeck zu Corona: „Wir werden keine Herdenimmunität erreichen“
Beim Thema Impfen gegen Corona sei dagegen mehr gefordert als nur zu sagen „Ja, man muss sich impfen lassen“, wie es Hendrik Streeck bei RTL erklärte. Im NRW-Landtag stellte er dabei klar: „Wir werden keine Herdenimmunität erreichen.“ Das habe nichts mit neuen Varianten zu tun, sondern mit den Eigenschaften der Coronaviren. Deshalb stellte sich für ihn auch die Frage nach einer Impfpflicht nicht. Die Impfung müsse als Eigenschutz verstanden werden.
Eine Impfung gegen das Coronavirus schütze effektiv und dauerhaft vor einem schweren Verlauf, betonte er. „Aber wir werden auch Geimpfte im Krankenhaus sehen“, betonte Hendrik Streeck. Hier sei in der Kommunikation einiges schiefgelaufen. Die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, sei für einen Geimpften aber nur halb so groß wie für einen Ungeimpften. Auch Christiane Woopen kritisierte, dass die Bundesregierung beim Impfen appellativ statt argumentativ unterwegs sei und mit indirektem Druck arbeite.
Mit Blick auf Kinder drängte die Ethik-Professorin darauf, möglichst viele Infektionen bei den jungen Menschen präventiv zu vermeiden. Denn man wisse über Long Covid – im Kurort Willingen wird eine besondere Behandlung dafür angeboten – noch nicht genug. Zugleich sei es wichtig, Ambulanzen und Zentren aufzubauen.
Hendrik Streeck prophezeit komplizierten Corona-Winter
„Das Virus wird nicht verschwinden“, sagte Christiane Woopen. „Man kann nicht jedes einzelne Leben retten. Wir müssen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen wahren.“ Es gehe darum, das Vorhandensein von Corona zu managen. Als einen Bewertungsmaßstab forderte sie dabei die Vermeidung von Bildungsverlusten bei jungen Menschen. Wie viele Schüler und Lehrer sind in Quarantäne? Wie viele Präsenzformate fallen in der Kita und an den Schulen und Hochschulen aus? Die müsse berücksichtigt werden. Hybride Formate sollten an allen Schulen ermöglicht werden.
Hendrik Streeck rechnet derweil im Herbst mit höheren Infektionszahlen. „Es wird ein komplizierter Winter. Die höchste Welle steht uns noch bevor, wir haben aber mit der Impfung ein starkes Werkzeug.“ Der Virologe kritisierte die „schlechte Datenlage“ in Deutschland. Zudem fehle ein am PC simulierter Stresstest des Gesundheitssystems. „Essenzielle Punkte für gutes Pandemie-Management wissen wir nicht.“ Das Hauptaugenmerk müsse auf die Krankenhäuser gerichtet werden.
Dänemark stricht Corona-Maßnahmen – Vergleich mit Deutschland hinkt
Dänemark, wo alle Corona-Maßnahmen aufgehoben wurden, könne man mit Deutschland schon wegen der Größe nicht eins zu eins gleichsetzen. „Ich würde Schutzmaßnahmen nicht im Winter, sondern im Sommer zurücknehmen“, sagte Hendrik Streeck. Statt Energie in die Kontaktnachverfolgung zu stecken, sollten die Risikogruppen geschützt werden. „Die Pandemie wird in Altenheimen und in sozial schwächer gestellten Gruppen entschieden.“
Und wann ist Pandemie vorbei? Das müsse man definieren, sagte Hendrik Streeck. Das sei eine politische Entscheidung. Logisch sei der Schritt dann, wenn alle ein Impfangebot hatten.